Wir Menschen sind Doppelwesen,
halb materiell und äusserlich, halb
geistig und innerlich. So erleben wir die Welt immer doppelt: Wir
spüren z.B. etwas Festes unter den Füssen, das wir mit der Festigkeit
unseres eigenen Körpers wahrnehmen können und interpretieren dann
unsere inneren Erfahrungen, kulturelle Werte und diverse Vorstellungen
hinein und nennen es "Boden". Dieses Füllen des materiell Erfahrbaren
mit geistigen Bedeutungen nennt sich "Animismus": Der Mensch animiert
die Dinge mit seiner Meinung über sie. Ebenso neigen wir im Gegenzug
dazu, manche unserer geistigen Eingebungen zu "materialisieren", Ideen
etwa per Kunst oder Handwerk als anfassbares Werk zu verkörpern. Wenn
beide - Materialismus und Animismus - bewusst Hand in Hand
arbeiten, bereichern das Physische und das Psychische, das weltliche
Leben und die spirituelle Erfahrung einander. Wenn
sie gegeneinander arbeiten, wie in den meisten jüngeren Religionen und
Materialismen, sind Weltliches und Geistiges im Krieg miteinander. Das
Abendland etwa war das gesamte Mittelalter hindurch von der rein
geistigen Orientierung des Christentums geprägt, für die alles
Leibliche und Irdische zutiefst mit Sünden beschmutzt und verdorben
war. Seit dem Aufstieg der mechanistischen Naturwissenschaften als
Gegenkraft des letzten halben Jahrtausends erleben wir einen immer
tieferen Absturz in einen gottlosen, geistverneinenden Materialismus,
der die ganze Welt für tot, zufällig und sinnlos hält, Menschen zu
Biorobotern
erniedrigt und die Erde vom Paradies zur Wüste leerplündert. Sowohl
rein materialistische als auch rein spirituelle Weltbilder müssen auf
Dauer an ihrer einseitigen Weltfremdheit scheitern. Ein gesundes
Weltbild sollte daher unbedingt ganzheitlich sein und die materielle
wie geistige Natur des Menschen und der Welt in ein harmonisches
Zusammenspiel bringen. Die Aufgabe freier Spiritualität als geistiger
Kunst ist daher in
unseren heutigen Zeiten, von dem überlebensgefährlich einseitigen
Materialismus der Postmoderne das Kulturpendel wieder einmal in
Richtung Spiritualität (Geistigkeit) ausschwingen zu lassen. Aber nur
halb, denn als reiner Esoteriker verliert man wieder den festen Boden
unter den freischwebenden Füssen. Freie Spiritualität kann nur in einem
ausgewogenen, harmonischen Verhältnis mit den materiellen Aspekten der
Welt sinnvoll existieren. Freie Spiritualität ist deshalb frei, weil
sie frei zwischen spannungsgeladenen Polen zu schwingen versteht und
aus harmonischen Schwingungsgesetzen bewusst und aus freiem Willen
immer neue Daseinsmusik, immer höhere Sphärenklänge komponieren kann.
Sie ist die schöpferische geistige Freiheit des Göttlichen in uns, die
sich ihrer selbst als fleischgewordener Mensch immer deutlicher bewusst
wird. Freie Spiritualität ist freiwillig gewählte und eigenwillig
gestaltete Gottmenschwerdung.
Unbedingt sollte freie Spiritualität sich der Dogmenfreiheit verpflichtet fühlen. Nicht die Identifikation mit den austauschbaren Inhalten des Animismus ist entscheidend (ob man etwa das oberste geistige Prinzip "Gott" oder sonstwie nennt), sondern das Bewusstsein, dass und wie man die materielle Welt animiert, dass man also selbst ein schöpferischer Geist in einer schöpferischen Welt ist, in der alles miteinander spielend sich freifliessend wandelt und entwickelt. Es kann kein unveränderliches Gotteswort geben in einem Dasein, dessen Wesen Evolution ist. Es kann für den Menschen mit seinen begrenzten Sinnen und seinem Säugetiergehirn keine einzige, universale Wahrheit geben, die alle Tatsachen und Möglichkeiten des gesamten Kosmos auf einen einzigen Punkt bringt. Freie Spiritualität kann nur Staunen machen angesichts des grossen Mysteriums, das wir alle sind - ein Wunder, das man in immer neuen Aspekten erleben kann - so unfassbar, dass keine Menschenworte sich erdreisten sollten, es in den Kerker menschlicher Sprache zu sperren. Freie Spiritualität braucht keine Priester, denn der Kern jeder echten spirituellen Erfahrung ist immer und grundsätzlich eine SELBSTERFAHRUNG, die man in den eigenen, allerinnersten Tiefen macht. Um eine solche Erfahrung machen zu können, bedarf es lediglich des Wissens um spezielle geistige Techniken (etwa Meditationstechniken), mit denen man die Selbsterleuchtung gezielt erleben kann. Die Ego-Auflösung und das Selbstbewusstsein der Alleinheit, das Wissen um die Unsterblichkeit und das innere Licht, das heller als alle Sonnen strahlt, sind für jeden selbsterfahrbar. Spirituelle Techniken lassen sich aus Büchern oder im Internet lernen oder man besucht einen Workshop oder lebt eine Weile bei einem Schamanen. Für Erstlinge bietet sich eine spirituelle Gemeinschaft an, in der Erfahrenere mit Rat und Tat bei den ersten Schritten der Selbsterleuchtung und dessen schrittweisen Verstehens helfen können. Ansonsten hat der menschliche Geist gerne die Angewohnheit, um so freier vom Erleben selbst zu lernen, je weniger er Anhaftungen, Vorurteilen und Ängsten erliegt, sondern um so mehr er wertfrei die Welt und sich selbst zu beobachten vermag. Freie Spiritualität tritt daher am besten immer in selbstorganisierter Form auf - ob als individuelle Visionsssuche all-ein im Wald oder als gemeinschaftliches Singen und Tanzen, das alle Teilnehmer zusammen in den Himmel auf Erden hebt. In diesem Sinne wünsche ich allen an freier Spiritualität Interessierten erfüllende Selbsterleuchtungserfahrungen und hoffe, mit "GAIAS SPIRIT" ein überzeugendes Beispiel und eine stattliche Technikensammlung für angewandte freie Spiritualität bieten zu können ... |